Foto: Lea Goldberg

„Wir haben uns drei Wochen von Muscheln und Erde ernährt“

Süddeutsche Zeitung, Wirtschaft

Andreas Kieling ist einer der bekanntesten Tierfilmer des Landes. Im Gespräch erzählt er, warum man manchmal egoistisch sein muss und weshalb ihn die Stadt mehr stresst als die Gefahren der Wildnis.

Andreas Kieling ist als Jugendlicher aus der DDR geflohen, hat eine Ausbildung zum Matrosen und eine zum Förster gemacht, bevor er einer der bekanntesten deutschen Tierfilmer wurde. Oft ist Kieling monatelang draußen in der Wildnis unterwegs, hat Bären in Alaska, Berggorillas in Afrika und Wildkatzen in der Eifel gefilmt und ist mit Haien vor Australien getaucht. Der 62-Jährige sitzt gut gelaunt in der Sonne auf seinem Hof in der Eifel.

SZ: Herr Kieling, reden wir über Geld. Sie wurden von einem Elefanten und einem Wildschwein schwer verletzt und sind in der Arktis fast verhungert. Lohnt es sich finanziell, sich diesen Gefahren auszusetzen?

Andreas Kieling: Natürlich will man über die Runden kommen, aber das Geldverdienen stand für mich noch nie im Vordergrund. Als Tierfilmer muss man für sich selbst ausmachen, wie weit man geht. Mir ist es ein Bedürfnis, ganz nah dran zu sein. Ich versuche, eine Beziehung zu den Tieren aufzubauen und sie an meine Person zu gewöhnen. Das führt manchmal zu Unfällen. Aber ich finde, dafür, dass ich schon seit über 30 Jahren als Tierfilmer arbeite, bin ich immer noch sehr glimpflich davongekommen.

Schließen Sie spezielle Versicherungen ab, wenn Sie in der Wildnis unterwegs sind?

Nein. Die Policen wären exorbitant hoch, wenn ein Versicherungsmakler hört, dass ich ein halbes Jahr mit den Eisbären in der Tundra oder bei den Wüstenelefanten in der Namibwüste verbringe.

Denken Sie trotzdem manchmal darüber nach, was alles passieren könnte?

Dann dürfte ich den Beruf nicht ausüben. In der Natur zu sein und auf Expedition zu gehen, ist für mich etwas ganz Natürliches. Ich bin manchmal aufgeregter, wenn ich irgendwo in einer Großstadt einen Termin habe. Das stresst mich mehr, als einen Tag mit den Berggorillas zu verbringen.

Sie haben den renommierten Panda-Award erhalten und Ihre Filme laufen zur Primetime im ZDF. Verdienen Sie gut?

Alle Tierfilmer, die ich kenne, sind Idealisten, sie machen das aus Leidenschaft. Es mag ja sein, dass der eine oder andere damit ganz gut verdient, aber alle sind Freaks, sind glücklich, wenn sie draußen und hinter der Kamera sind, egal, ob sie im Geländewagen sitzen, oder im Zelt oder, so wie ich meistens, nur in der Natur.

Die Expeditionen sind doch auch teuer. Tragen Sie das finanzielle Risiko?

Als ich 1991 anfing, hatte ich keine Auftragsproduktion. Das Filmmaterial habe ich erst hinterher verkauft. Da lag das Risiko zu 100 Prozent bei mir. Das hat sich aber schnell geändert. 1992 hatte ich schon Auftragsproduktionen für den WDR und 1993 für das ZDF. Das heißt, wir reichen Themenvorschläge beim Sender ein und dann gibt es Kalkulationsverhandlungen. Ich bin da beim ZDF sehr gut aufgehoben und fühle mich auch wohl.

Und Sie liefern den Sendern das Filmmaterial?

Nein, wir machen den Film komplett fertig. Das ist sehr komplex, wir sind bestimmt zwölf Leute, die Wochen oder Monate an einer Produktion arbeiten. Danach werden die Filme vom Sender redaktionell abgenommen.

Gab es nie eine Expedition, bei der Sie ein Minusgeschäft gemacht haben?

Doch, die gab es bei mir relativ oft. Aber das lag an meiner eigenen Leidenschaft. Bei Auftragsproduktionen gibt es eine festgelegte Anzahl von Drehtagen, je nachdem wie schwierig das Thema ist. Aber dann kann es sein, dass man so voller Leidenschaft und Neugierde ist, dass man weitermacht. Ich habe schon oft meine Kollegen nach Hause geschickt und bin noch einige Wochen oder Monate geblieben, weil ich dachte, das kriegst du noch besser hin, oder solche Szenen kriegst du so schnell nicht wieder, also beiß einfach die Zähne zusammen und mach weiter!

Dann haben Sie umsonst weitergearbeitet?

Ich sehe das nicht als umsonst arbeiten. Ich wäre heute nicht bei Terra-X im ZDF, wo die Messlatte für Tierfilme in Deutschland am höchsten hängt. Letztendlich ist dieser Mehraufwand an Drehtagen, das Zähne-Zusammenbeißen, Rückschläge-Hinnehmen, ein gutes Investment, weil es mich bei den Top-Tierfilmern hält. Man sagt, auf den alten Kieling ist Verlass, der macht Filme, die auf der ganzen Welt begehrt sind.

Welchen Tieren haben Sie in Ihrer Karriere am meisten zu verdanken?

Alaska mit seinen Grizzlybären und Eisbären habe ich echt viel zu verdanken. Die haben mich sehr schnell bekannt gemacht. Und meinem Durchhaltevermögen. 1991 gab es nicht viele Tierfilmer, die so leidensfähig waren und sagten, ich gehe jetzt ein halbes Jahr in die Tundra Alaskas und filme Eisbären und Braunbären.

Und warum wollten Sie nach Alaska?

Ich habe damals Heinz Sielmann gefragt, wie man Tierfilmer wird. Er sagte: „Bleiben Sie bloß Förster, vom Tierfilm können Sie nie leben. Oder machen Sie Ihren ersten Film über das Waldsterben.“ Würg! Ich wollte in die Welt, Abenteuer erleben, professionelle Tierfilme drehen und nicht einen kranken Wald filmen! Ich habe mich gefragt, wo ich Fuß fassen könnte. Das war natürlich auch eine wirtschaftliche Überlegung. Ich dachte, in Afrika hängt die Messlatte so hoch, die besten Tierfilmer der Welt tummeln sich da in großen Scharen. Da kannst du nicht mithalten. Du musst an einen Ort gehen, wo keiner hingehen will. Wo es richtig rau und unwirtlich ist, wo man sich quälen muss und es keiner länger als zwei Wochen aushält. Und da dachte ich an die Geschichten von Jack London, die ich als Kind mit großer Begeisterung gelesen habe.

Sie haben es länger als zwei Wochen ausgehalten. Bei Ihrer ersten großen Expedition sind Sie 3200 Kilometer den Yukon-River hinunter gepaddelt, ein halbes Jahr im Kanu durch Kanada und Alaska.

Eine endlos lange Zeit in so einem Boot. Aber dieses Gefühl von grenzenloser Freiheit! Das hast du in Afrika nicht. Wo in Afrika der Nationalpark aufhört, ist es überbevölkert, oder man muss spätestens eine Stunde nach Sonnenuntergang wieder im Camp sein. In Alaska interessiert es niemanden, wie lange du in der Wildnis untertauchst, du triffst wochenlang niemanden. 1994 war ich mit einem Fotografen in Alaska, wir haben in einem Fjord zu nah am Wasser gezeltet. Nachts ist ein riesiger Gletscher abgebrochen und hat eine Flutwelle ausgelöst, die einen Großteil unserer Ausrüstung weggespült hat. Das Essen war weg, aber die Kameras hatten wir noch. Wir haben uns drei Wochen von Muscheln und Erde ernährt. Als ich zurückkam, war ich total unterernährt, aber die Filmaufnahmen waren grandios. Das Material war Teil meines ersten großen Films „Im Schatten der Gletscher“.

Je spektakulärer die Aufnahmen, desto lukrativer?

Es ging mir auch damals nicht ums Geld, ich wollte meiner Sehnsucht und Neugierde nachgehen und Tierfilmer werden, und dafür war es wichtig, dass die Redaktionen meinen Namen kennen und sagen, ach, das ist doch der, der immer die Bären filmt und so lange weg ist – und irgendwann wahrscheinlich auch mal nicht mehr wiederkommen wird.

Was braucht man, um in der Wildnis gute Filme zu drehen?

Mit Geld können Sie in der Einsamkeit Alaskas nicht viel erreichen. Sie brauchen Instinkt, Leidenschaft, Durchhaltewillen, eine hochwertige Kamera-Arbeit und Erfahrung, um Situationen richtig einschätzen zu können. Und dann ist da immer noch der Faktor Glück. Tiere im Regen und Nebel will sonntagabends niemand im Fernsehen sehen.

Sind Expeditionen heute weniger abenteuerlich, weil die Hightech-Ausrüstungen immer besser werden?

Wenn Expeditionen scheitern, liegt es nicht daran, dass die teure vierlagige Jacke schlapp macht, die Kamera oder das GPS ausfällt. Sie scheitern daran, dass es zwischenmenschlich nicht funktioniert. Ich hatte in Alaska oft Kollegen, die habe ich natürlich gut bezahlt, aber wenn ich sah, wie die ankamen! Das Teleobjektiv war mit Klebeband umwickelt, weil es klapperte. Die hatten alte Stative und Klamotten aus dem Secondhand-Store. Aber das waren die besten Leute. Die haben durchgehalten. Bei denen, die zu sehr an die Technik glaubten, ging es oft mental oder körperlich nicht weiter.

Sind die teuren Ausrüstungen also übertrieben?

Nein, die sind natürlich schon gut und wichtig. Der Verlust des Reißverschlusses in der Tundra kann das Ende einer Expedition bedeuten, wenn Sie von Mücken zerstochen werden.

Was ist für Sie Luxus?

Mehr unter:

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tierfilme-andreas-kieling-reden-wir-ueber-geld-1.5603680