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„Wir müssen das ganze System ändern“

Süddeutsche Zeitung, Wirtschaft

Benedikt Bösel war Investmentbanker, heute verdient er als Bio-Bauer einen Bruchteil. Ein Gespräch über ausgetrocknete Felder, Kühe als Klimaschützer und wie sich die Landwirtschaft revolutionieren lässt.

Es hat seit Langem nicht geregnet, die Böden in Brandenburg sind extrem trocken. „Wir sitzen auf einem Pulverfass, es kann jede Sekunde irgendwo anfangen zu brennen“, sagt Benedikt Bösel. Der 37-Jährige betreibt den Öko-Hof „Gut & Bösel“ mit 1000 Hektar Ackerland und 2000 Hektar Forst in einer der trockensten Regionen Deutschlands. Bösel hat Business Finance und Agrarökonomie studiert und zehn Jahre in der Finanzbranche gearbeitet, bevor er den Hof übernahm. Er fordert einen radikalen Wandel in der Land- und Forstwirtschaft, er setzt dabei auf alte Methoden, aber auch auf innovative Modellversuche.

SZ: Herr Bösel, reden wir über Geld. Ein Kilo Fleisch Ihrer Rinder kostet 25 Euro. Im Supermarkt beträgt der Preis meist weniger als die Hälfte.

Benedikt Bösel: Dass das Fleisch so günstig ist, ist eine Verbrauchertäuschung. Bei den Preisen werden die negativen Auswirkungen der Produktion ebenso wenig eingerechnet wie die ökologischen Leistungen. Wenn das Grundwasser durch Nitrat verschmutzt wird, die Böden durch Monokulturen und Pestizide ausgelaugt werden, die Artenvielfalt stirbt und Kohlenstoffdioxid ausgestoßen statt gebunden wird, entstehen Schäden und Kosten, die zulasten des Ökosystems und der Gesellschaft gehen. Die sind aber in dem Preis nicht eingerechnet.

Ihr Fleisch müsste also eigentlich günstiger sein, weil Sie in den Schutz des Bodens investieren?

Wenn man bei der Produktion den Boden verbessert, indem man Humus aufbaut, Kohlenstoff im Boden speichert, ohne Kunstdünger und zusätzliche Bewässerung auskommt, unterschiedliche Früchte nacheinander anbaut oder Monokulturen durch Biodiversität ersetzt, entstehen auf der einen Seite Mehrkosten, auf der anderen Seite monetäre Werte, und diese müssen honoriert werden.

Ökologische Landwirtschaft wird in der EU doch gefördert.

Es geht nicht darum, dass bio gut und konventionell schlecht ist. Wir müssen das ganze System ändern. In unserem Betrieb erhalten wir pro Hektar circa 150 Euro Flächenprämie. Das ist die klassische Direktzahlung, die jeder Landwirt bekommt. Weil wir ökologischen Landbau betreiben, erhalten wir noch circa 300 Euro pro Hektar und 33 Euro für benachteiligte Gebiete. Diese Subventionen sind nur an die Fläche gekoppelt. Damit kann ich also mehr oder weniger machen, was ich will.

Müssen Sie sich nicht an die Öko-Verordnung halten?

Doch, natürlich, aber ob wir darüber hinaus den Boden 50 Mal im Jahr pflügen oder keine Zwischenfrüchte anbauen, hat nichts damit zu tun. Unser landwirtschaftliches System beruht fälschlicherweise auf der Annahme, dass der Boden ein anonymer, wertloser Produktionsfaktor ist und Biodiversität keinen monetären Wert hat. Hinzu kommt die falsche Annahme, dass Wasser und Energie günstig sind. Land- und Forstwirtschaft bedeuten aber nicht nur Primärproduktion. Der Boden und die Frage der Landnutzung sind der Schlüssel, um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen.

Wie meinen Sie das?

Der Boden ist unser größter Schatz, ein extrem komplexes Ökosystem und mit die wichtigste Ressource, die wir haben. Ein Löffel gesunder Boden hat mehr Lebewesen, als es Menschen auf dem Planeten gibt. Ein gesunder Boden sorgt für gesunde Pflanzen, Tiere und Menschen. Ob Armut, Flucht, Bildung, Gesundheit, Biodiversität oder Klimaanpassung – das sind alles Themen, die unmittelbar mit der Frage der Landnutzung zusammenhängen, und zwar weltweit. Die Land- und Forstwirtschaft sind der größte, direkteste und sinnvollste Hebel, um gegenzusteuern. Denn unsere einzige Versicherung für den Klimawandel ist ein gesunder Boden und ein intaktes Ökosystem.

Ihr Hof „Gut & Bösel“ liegt in einer trockenen Region mit großen Monokulturen. Das klingt nicht nach einer guten Versicherung.

Wir haben hier in Brandenburg mehr als 70 Prozent Kiefer-Monokultur und sitzen damit auf einer tickenden Zeitbombe. Dieser Wald kann und wird hier nicht überleben. Wir sind bereits mitten im Klimawandel angekommen, es ist jetzt das fünfte Dürrejahr in Folge. Damit unser Hof überleben und wirtschaftlich arbeiten kann, müssen wir einen Wald aufbauen, der mehr Biodiversität hat und dadurch resilienter für klimatische Veränderungen wird. Und wir müssen den Boden durch die Art und Weise, wie wir die Felder bestellen, schützen und verbessern.

Sie haben zehn Jahre lang als Investmentbanker, in der Restrukturierung eines Unternehmens sowie im Venture-Capital-Bereich gearbeitet. Warum sind Sie dort ausgestiegen und haben den Hof übernommen?

Ich bin hier aufgewachsen, Madlitz ist meine Heimat. Als junger Mensch wusste ich, dass ich einmal für diesen Betrieb Verantwortung übernehmen werde, aber ich habe damals noch nicht verstanden, was Landwirtschaft für eine große Bedeutung hat. Und die Vorstellung, Öko-Ackerbau in Ost-Brandenburg zu betreiben, fand ich mit Anfang zwanzig auch nicht besonders sexy. Deswegen wollte ich erst mal raus.

Welche Rolle hat Geld bei Ihren beruflichen Entscheidungen gespielt?

Als ich mit 22 Jahren angefangen habe zu arbeiten, wollte ich so viel Geld wie möglich verdienen, weil ich dachte, darüber kaufst du dir die Freiheit, das zu tun, was du tun möchtest. Dann habe ich gemerkt, dass das ein Trugschluss ist. Heute verdiene ich ein Drittel von dem, was ich als 22-Jähriger verdient habe. Aber heute weiß ich, dass Freiheit viel mehr bedeutet, Dinge zu tun, auf die du Lust hast, zusammen mit Menschen, auf die du Lust hast, wo es nicht nur um deine eigenen Probleme geht.

Als Sie den Hof 2016 übernahmen, war der bereits ein Öko-Betrieb. Warum haben Sie nicht einfach weitergemacht wie bisher?

Zuerst dachte ich, um langfristig weiterzukommen, müssen wir nur auf mehr und bessere Technologie und Digitalisierung setzen. Es hat damals etwa ein Jahr gedauert, bis mir klar geworden ist, die komplette Landwirtschaft rennt mit vollem Galopp in die falsche Richtung.

Können Digitalisierung und Technologie nicht auch nützlich sein?

Anfangs hatten wir geplant, ein Future-Farm-Modell zu machen, mit Technologie vollgestopft. Als ich dann den ersten Call mit einem großen Maschinenhersteller hatte, herrschte hier gerade die typische Frühjahrstrockenheit. Ich stand auf dem Acker, es war kein Tier zu sehen oder zu hören, und der Boden war trocken und sandig. Da dachte ich: Scheiße, was mache ich hier eigentlich? Wenn ich den ganzen Hof digitalisiere, investiere ich eine Million Euro, bin über zehn Jahre in dem System gefangen, und wenn dann der Boden nicht mitspielt, bin ich pleite. All die Technik ändert nichts daran, dass es draußen nicht regnet, dass der Boden so schlecht ist, dass er kein Wasser speichern kann. Stattdessen müssen wir die Stärken der Natur nutzen, um dem Klimawandel zu begegnen.

Sie betreiben eine regenerative Landwirtschaft, die Sie „Beyond Farming“ nennen. Was machen Sie konkret?

Wir haben uns weltweit nach innovativen Landnutzungskonzepten umgeschaut, mit denen wir den Boden und dadurch auch die Erträge verbessern und die Wirtschaftlichkeit unseres Betriebes gewährleisten können. Dabei sind wir auf viele erfolgreiche Vordenker und teilweise uralte land- und forstwirtschaftliche Methoden wie Agroforst gestoßen. …

Das ganze Interview:

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bio-bauer-landwirtschaft-klimawandel-1.5661840