„Unser Verständnis von Kindheit hat sich stark verändert“

Psychologie Heute, Beltz Verlag

Ellen Beate Hansen Sandseter ist Psychologin und Professorin für frühkindliche Erziehung am Queen Maud University College (QMUC) in Trondheim, Norwegen. Sie erforscht seit Langem die Auswirkungen risikoreicher Spiele auf die Entwicklung von Kindern und hat zu diesem zahlreiche Studien veröffentlicht

Frau Professorin Hansen Sandseter, kann zu viel Sicherheit für Kinder gefährlich sein?

Es gibt im Leben keine hundertprozentige Sicherheit. Deswegen ist es so wichtig, dass wir als Kinder bereits risikoreiche Erfahrungen machen, um zu lernen, wie man damit umgeht. Gefährlich ist es, wenn wir versuchen, alles immer absolut sicher für sie zu gestalten, und sie dadurch diesen sehr wichtigen Lernprozess verpassen.

Sie unterscheiden sechs Arten risikoreichen Spielens: große Höhen, hohe Geschwindigkeiten, gefährliches Werkzeug, Elemente wie Feuer oder Wasser, wildes Herumtoben und Ausreißen. Warum profitieren Kinder davon?

Kindern die Möglichkeit zu geben, Risiken im Spiel auszuloten, sie realistisch einzuschätzen und mit ihnen umzugehen, ist eine verletzungspräventive Arbeit. Nur so können sie physische Kompetenzen und motorische Fähigkeiten entwickeln, lernen, sich geschickt zu bewegen und spielerisch ihre Muskeln und ihr Gleichgewicht zu trainieren.

Außerdem ist es sehr wichtig für ihre psychologische Entwicklung, um Selbstvertrauen zu gewinnen, Mut zu erfahren und Ängste zu überwinden. Risikoreiches Spielen bedeutet auch, dass Kinder Dinge selbst erforschen, Probleme lösen lernen und untereinander kooperieren. Das ist wichtig für ihre Sozialkompetenz. 

Erhöht eine überbehütete Erziehung das Risiko, später psychisch zu erkranken?

Wir sehen in der Forschung, dass Kinder, die nie die Möglichkeit haben, sich Herausforderungen allein zu stellen, Grenzen auszuloten und Risiken zu begegnen, nicht ihre Ängste überwinden können. Bei manchen entwickeln sich diese dann zu einer Phobie oder zu anderen psychologischen Problemen.

Woher kommt das hohe Sicherheitsbedürfnis in unserer Gesellschaft?

Es kommen viele Faktoren zusammen. Früher war es selbstverständlich, dass Kinder die gleichen Arbeiten verrichteten wie Erwachsene. Unser Verständnis von Kindheit hat sich seitdem stark verändert, wir betrachten Kinder heute als verletzliche Wesen, die wir beschützen müssen.

Zudem sind Eltern heute durchschnittlich älter. Die eigene Risikobereitschaft sinkt im Alter, sodass sie selbst vorsichtiger sind. Außerdem haben viele Familien nur noch wenige Kinder und diese sind eine Art Projekt für sie geworden.

Das Kinderleben wurde zudem stark institutionalisiert, und wenn man auf Kinder von anderen Menschen aufpasst, ist man noch vorsichtiger oder will nicht verklagt werden, wenn etwas passiert. Auch die Medien beeinflussen uns stark und setzen uns unter Druck, indem sie auch weit entfernte Katastrophennachrichten verbreiten.

Wie finden Eltern die richtige Balance zwischen Sicherheit und Risiko?

Eltern sollten sich bewusst machen, wie wichtig es für Kinder ist, Risiken zu erleben. Ich erinnere dann an die eigene Kindheit. Oft haben sie gute Erinnerungen daran, wie sie draußen unbeaufsichtigt herumgetobt sind.

Wichtig ist auch, dass Eltern beim Spiel eine gesunde Distanz wahren. Ich habe mal eine Kita besucht, in der die 17-Sekunden-Regel galt. Die Erzieherinnen mussten bis 17 zählen, bevor sie eingreifen durften, was dazu geführt hat, dass sie nie mehr eingreifen mussten. Also am besten Geduld haben und den Kindern zutrauen, dass sie die Probleme schon allein lösen.

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