Jan Hendrik Eming

„Ein Hai weiß sofort, ob du die Hosen voll hast“

Süddeutsche Zeitung, Wirtschaft

André Wiersig ist 50 Kilometer durch die Nordsee gekrault, von St. Peter-Ording bis nach Helgoland. Nur in Badehose und mit Schwimmbrille. Als erster Deutscher hat er auch die Ocean’s Seven geschafft, sieben Meerengen auf fünf Kontinenten, die als größte Herausforderung im Langstreckenschwimmen gelten. Der 51-Jährige wohnt in Paderborn, er sei aber sowieso gerade in Niedersachsen unterwegs für seine Initiative „Blue Heart“, die nachhaltige Projekte zum Schutz der Meere fördert. Da könne man sich unterwegs in der Kleinstadt Nordhorn treffen. Wiersig kommt gut gelaunt ins Café, obwohl er um fünf Uhr morgens aufgestanden ist.

SZHerr Wiersig, reden wir über Geld. Sie schwimmen mehr als 18 Stunden ohne Unterbrechung durch kalte Ozeane, in Dunkelheit, mit meterhohen Wellen, reißenden Strömungen, Haien und giftigen Quallen. Bezahlt Sie jemand dafür?

André Wiersig: Nein. Ich gebe dafür nur Geld aus. Aber für mich ist Geld auch nur eine Währung von vielen. Wenn du da draußen schwimmst, bekommst du so viel vom Ozean zurück. Es ist toll, für einige Stunden Teil von etwas zu sein, was schon seit Urzeiten besteht und noch lange nach uns da sein wird. Da erlebt man ein tiefes Gefühl von Demut und Dankbarkeit.

Um die Ocean’s Seven zu schwimmen, mussten Sie aber viel Geld investieren.

Ja, na klar! Und wenn man in sich und in so eine Leidenschaft investiert, auch über seine eigenen Verhältnisse hinaus, versteht das nicht jeder. Viele Leute schütteln den Kopf und fragen: Was machst du da eigentlich und warum?

Und warum tun Sie sich diese Strapazen an?

Das kann ich gar nicht zu Ende beantworten. Ich mache das jetzt schon so lange. Am Anfang wollte ich unbedingt einmal durch den Ärmelkanal schwimmen, da war es mir auch wichtig, wie schnell ich bin. Heute geht es mir darum, mit dem Meer zu verschmelzen.

Was haben Sie insgesamt für die Ocean’s Seven ausgegeben?

Ich glaube, so 170 000 Euro.

Sind Sie zur Bank gegangen und haben gesagt: Ich möchte sieben Meerengen durchkraulen und brauche dafür einen Kredit?

Im übertragenen Sinne habe ich einen Kredit bei meiner Frau aufgenommen, also unser gemeinsames Geld dafür ausgeben. Anfangs habe ich ja geglaubt, dass ich das mit Sponsoren irgendwie wieder reinbekomme. Aber das war nicht so. Obwohl ich im Vertrieb gearbeitet habe, habe ich in der Selbstvermarktung total versagt.

Haben Sie keine Angebote von Sponsoren erhalten?

Doch, eine Firma hat mir sogar mal 160 000 Euro geboten, aber ich laufe doch nicht als Werbemaskottchen herum und lasse mir von denen sagen, was ich machen soll. Für einige Produkte bin ich heute Markenbotschafter, aber aus echter Überzeugung.

Und was sagt Ihre Frau dazu?

Die findet das natürlich überhaupt nicht lustig. Das ist ja unser Familiengeld. Wir wohnen immer noch zur Miete, hätten auch gern ein eigenes Häuschen. Bis vor zwei Jahren hatte ich ja noch einen regulären Job und habe viel Geld verdient, aber das habe ich alles wieder rausgehauen.

Vollzeitjob, drei Kinder und jedes Jahr eine Meerenge schwimmen: Klingt ziemlich anstrengend.

Ich weiß rückblickend auch nicht, wie ich das geschafft habe. Ich habe in einem IT-Unternehmen in Hamburg gearbeitet, wo ich eine Dienstwohnung hatte, war nur unterwegs, habe das Marketing und den Vertrieb geleitet und war verantwortlich für ein Millionenbudget. Völlig verrückt.

Und wann haben Sie trainiert?

Nachts.

Bei Hamburg im Meer?

Nein! Nachts im Hallen- und Freibad.Einmal im Jahr bin ich für zehn Tage ins Trainingslager gefahren. Meinen Physiotherapeuten habe ich dorthin mitgenommen. Wenn du in meinem Alter bist, brauchst du einen, der dich jeden Abend wieder zusammenflickt. Das habe ich natürlich alles selbst bezahlt.

Was ist noch teuer am Extremschwimmen?

Die Reise dahin, die Organisation, das Begleitboot, die Crew, und du brauchst gute Bilder. Meinem Schwager Jürgen, der mich immer begleitet, habe ich anfangs eine Kamera in die Hand gedrückt. Das hat aber überhaupt nicht funktioniert. Die Fotos sind grottenschlecht geworden. Auf Hawaii habe ich dann 1500 Dollar für einen Profifotografen ausgegeben, cash bezahlt. Ein richtig super Typ. Der hat 23 Bilder gemacht – und die waren genauso schlecht wie die von Jürgen. Weil der 18 Stunden auf dem Schiff durchgekotzt hat, so seekrank war der.

Und die 1500 Dollar waren weg?

Die waren weg. Der Kapitän hat echt überlegt, den Fotografen ausfliegen zu lassen, weil der ein paar Mal ohnmächtig geworden ist. Der fotografiert sonst Surfer. Aber nachts surft keiner. Wenn du bei fünf Meter hohen Wellen keinen Orientierungspunkt hast, weil es stockdunkel ist, hast du schlechte Karten, wenn du seekrank wirst. Mittlerweile habe ich einen eigenen Mitarbeiter, der Film und Fotos macht.

Können Sie davon heute leben?

Ja. Ich halte Vorträge für Firmen, Organisationen und Schulen, habe Bücher und ein Hörbuch veröffentlicht. Das ganze Geld habe ich jetzt in Kameraequipment investiert, 150 000 Euro, weil wir mit einem Streamer über einen Doku-Film verhandeln. Das Problem ist, du musst immer in Vorleistung gehen. Ich habe noch keinen Deal und fahre jetzt auf die Philippinen, um dort zu drehen. Meine Frau fragt dann zu Recht: Was machst du denn jetzt schon wieder? Gerade hast du mal ein bisschen Geld eingenommen und gibst das Doppelte gleich wieder aus. Aber am Ende geht das immer auf.

Erzählen Sie in Ihren Vorträgen: Wenn man nur an sich glaubt, kann jeder durch den Ozean schwimmen?

Nein, nein, ich bin nicht dieser Tschakka-Tschakka-Typ. Ich erzähle einfach, was ich mache. Es gibt wahnsinnig viele Parallelen zu unserem alltäglichen Leben. Als ich nach Helgoland geschwommen bin, hing ich fünfeinhalb Stunden in einer Strömung fest, bin auf der Stelle geschwommen. Fünfeinhalb Stunden auf einer Fläche, so groß wie dieses Café hier! Da geht es nur darum, ruhig zu bleiben. Oder wenn mal ein Hai um die Ecke kommt, dem kannst du nichts vormachen. Deinen Mitarbeitern kannst du ja einen Scheiß erzählen, aber ein Hai, der weiß sofort, ob du gerade die Hosen voll hast.

Und was machen Sie, wenn ein Hai kommt?

Es ist auf jeden Fall eine gute Idee, ruhig zu bleiben. Das ist jetzt auch kein Geheimrezept, aber ich hatte ja schon einige Begegnungen mit großen Haien und sitze immer noch hier.

Kann man lernen, ruhig zu bleiben, wenn ein Hai um einen herumschwimmt?

Weiß ich nicht. Ich glaube, das ist eine Haltungsfrage. Das ist aber keine Gleichgültigkeit. Ich liebe meine Familie und natürlich möchte ich wieder nach Hause kommen. Aber wir Menschen nehmen uns immer so ultrawichtig, zerbrechen uns den Kopf darüber, was womöglich alles passieren könnte. Wenn ich am Strand stehe, nur in meiner Badehose, lege ich alle Erwartungen ab. Dann kann das Meer mit mir machen, was es will. Ich bin dann nur in diesem Moment, muss mich total aufs Meer einlassen. So ein Ozean, der verlangt alles, nimmt dir alles, und noch mehr.

Wenn Sie aus dem Meer steigen, sehen Sie ziemlich aufgedunsen aus.

Ja, hinterher siehst du richtig scheiße aus. Ich bin ja sowieso nicht der Hübscheste, und dann ist alles aufgequollen, weil sich die Haut mit Wasser vollsaugt. Nach Helgoland habe ich elf Kilogramm mehr gewogen, mir passten keine Schuhe mehr, der Mund ist kaputt vom Salzwasser.

Sie sind der erste Mensch, der die sieben Meerengen alle im ersten Anlauf geschafft hat.

Das war aber auch aus der Not heraus. Ich hatte einfach kein Geld und keine Zeit, wochenlang dort rumzulungern oder noch mal dahin zu fahren. Also habe ich gesagt: Das Wetter ist nicht so toll, ich soll wiederkommen? Nee, mach das Boot klar! Und dann haben wir das bei den verrücktesten Bedingungen durchgezogen.

Stecken Sie diese extremen Belastungen einfach so weg?

Nachdem ich die Tsugaru-Straße in Japan geschwommen bin, war ich richtig hinüber. Ich hatte Flashbacks, habe tagelang nicht geschlafen, musste künstlich in den Schlaf versetzt werden. Das macht etwas mit dir, du bist richtig erschrocken über dich selbst, musst erst mal wieder mit dir klarkommen. Da habe ich mir auch psychotherapeutische Hilfe geholt. Das Filmmaterial kann ich mir teilweise bis heute nicht angucken.

Was war Ihr schlimmstes Erlebnis?

Im Ärmelkanal bin ich mitten in der Nacht im Dunkeln in eine Plastikplane reingeschwommen, mit dem Kopf zuerst steckte ich in dem Plastikding drin. Ich habe fast eine Herzattacke gekriegt.

Schlimmer als die Begegnungen mit Haien oder giftigen Quallen?

Ja, mit Quallen, Haien, Walen und Delfinen komme ich bestens aus. Außerdem gehören die ja auch dahin. Ich komme schließlich zu denen, ich bin ein Gast im Meer.

Aber Ihr Gastgeber könnte Sie mal eben auffressen oder vergiften.

Klar, aber ich könnte ja auch zu Hause bleiben. Wenn du da draußen schwimmst, musst du die Regeln akzeptieren, die da herrschen. Das ist auch voll okay für mich. Ich finde die Quallen spitzenmäßig, die sehen toll aus. Klar wünsche ich mir, dass ich nicht wieder die Hucke vollkriege und vergiftet werde, aber ich schimpfe nicht über sie.

Hatten Sie noch nie Angst allein im offenen Ozean?

Wenn ich im Ozean schwimme, ist kein Raum für Angst. Wenn ich Angst habe, dann meist vorher. Ja, wenn ich jetzt hier über Hawaii nachdenke und über die Tiger Sharks, die da rumschwimmen, bekomme ich auch Angst. Es tut mir doch genauso weh, wenn ich von einer Qualle gebissen werde. Ich schlafe auch gern lang, habe auch gern mal Sicherheit und ein geregeltes Leben.

Haben Ihre Kinder Ihnen mal vorgeworfen, dass Sie ein so großes Risiko eingehen?

Ich spreche mit ihnen darüber, was ich mache und dass es ein Risiko ist. Aber ich habe ….

Das gesamte Interview ist zu lesen auf sz.de:

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