Foto: Stiftung Rebikoff-Niggeler

„In dem U-Boot fühlen wir uns sicher“

Süddeutsche Zeitung, Wirtschaft

Kirsten und Joachim Jakobsen erforschen seit mehr als 20 Jahren die Tiefsee. Mit ihrem U-Boot Lula 1000 tauchen sie regelmäßig bis zu 1000 Meter unter die Meeresoberfläche, in einen Lebensraum, in dem ständige Dunkelheit, enormer Druck und eisige Kälte herrschen und über den nur wenig bekannt ist. Während des Videointerviews sitzen die Jakobsens auf ihrem Katamaran im Hafen der portugiesischen Atlantikinsel Madeira, auf der das Ehepaar mit seinen Kindern lebt.

SZ: Frau Jakobsen, Herr Jakobsen, reden wir über Geld. Kann man vom Tiefseetauchen leben?

Joachim Jakobsen: Wenn man Geld verdienen will, sollte man sich besser etwas anderes suchen, als in die Tiefsee zu tauchen und auf seltene Tiere zu warten. Da braucht man ganz schön Durchhaltevermögen. Aber wir schaffen es, unsere Kosten zu decken und jedes Jahr ein, zwei neue Kameras zu kaufen.

Sie mussten aber erst einmal viel investieren. Was hat Ihr U-Boot gekostet?

Joachim Jakobsen: Wenn man so ein U-Boot kaufen würde, würde es einige Millionen Euro kosten. Aber wir haben unser U-Boot ja selbst hergestellt. Das waren noch ungefähr eine Million Euro für das Material und die Sicherheitsabnahmen. Nicht eingerechnet sind dabei die vielen, vielen Tausend Stunden Arbeit, die wir selbst reingesteckt haben – und die berechnen wir auch lieber nicht (lacht).

Geht man da zur Bank und sagt: Hallo, ich bin Tiefseeforscher und möchte ein U-Boot bauen, geben Sie mir bitte einen Kredit von einer Million Euro?

Joachim Jakobsen: Was wollen Sie machen? Ein U-Boot bauen? Haha, schöner Witz, der Nächste, bitte!

 Kirsten Jakobsen: Wir hatten Glück, dass wir anfangs finanzielle Hilfe von der Stiftung bekommen haben.

Der Rebikoff-Niggeler-Stiftung, die Sie 1994 gegründet haben.

Kirsten Jakobsen: Ja, wir sind eine gemeinnützige Stiftung. Die Gewinne werden wieder in die Stiftung investiert. Aber wir müssen von unseren Projekten leben, das sind entweder wissenschaftliche oder filmische. Unser Vorteil ist, dass wir die Tiefseeforschung in einem logistisch kleinen Format betreiben, mit nur einem 17-Meter Katamaran als Begleitschiff. Normalerweise sind das riesige, ozeanografische Schiffe, die so eine Tauchboot-Operation begleiten, mit viel Personal. Wir brauchen nur zwei oder drei Personen im U-Boot und zwei Personen auf dem Begleitschiff.

Sie haben nur zwei Mitarbeiter?

Kirsten Jakobsen: Ja, saisonal, für die Arbeit auf See.

Joachim Jakobsen: So sind wir flexibel. Wenn wir Lust haben und das Wetter schön ist, entscheiden wir, morgen gehen wir tauchen. Normalerweise wird Tiefseeforschung von Regierungen oder von großen Forschungsgesellschaften betrieben. Es gibt weltweit nur ein Dutzend Boote, die bis zu 1000 Meter tief tauchen können. So etwas wie unser U-Boot, in das nur drei Leute passen, die die Tiefsee erkunden, ist weltweit einmalig. Vor allem ist die Lula 1000 das einzige U-Boot, das auf Qualitätsfilmaufnahmen spezialisiert ist. Tiefseeforschung muss nicht unbedingt teuer sein, es geht auch mit kleiner Logistik und trotzdem denselben Sicherheitsmaßstäben und guten filmischen Ergebnissen.

Haben Sie trotzdem immer im Hinterkopf, was ein Tauchgang Sie kostet?

Joachim Jakobsen: Das haben wir lieber nicht im Kopf. Die ersten Jahren waren finanziell schon schwierig. Man musste bekannt werden und sich in die Materie einarbeiten. Mittlerweile ist das lockerer. Wir hatten das große Glück, außergewöhnliche Tiere filmen zu können, und die Beiträge werden gerne genommen.

Kirsten Jakobsen: Wir arbeiten sehr kompakt und überschaubar. Was wir jährlich für unsere Tauchboot-Operationen ausgeben, ist lächerlich im Vergleich zu großen Forschungsinstituten, die solche Boote oder Geräte betreiben.

Was geben Sie denn aus?

Joachim Jakobsen: Wir haben jährlich etwa 200 000 Euro Ausgaben.

Sie sind weder Meeresbiologen noch Schiffstechnikingenieure. Wie kommt man da auf die Idee, sich ein U-Boot zu bauen?

Joachim Jakobsen: Ich bin mit Unterwassertechnik aufgewachsen. Meine Eltern haben in den 50er-Jahren Unterwasserfilme gemacht, ohne U-Boot, aber tauchend. Sie haben mit Dimitri und Ada Rebikoff zusammengearbeitet, die Pioniere in der Herstellung von Unterwasserkameras waren. Meine Mutter war die erste mit Tauchgerät tauchende Frau in Deutschland. Ich wollte schon als Kind ein U-Boot haben.

Sie, Frau Jakobsen, waren aber Diplomatin an der deutschen Botschaft.

Kirsten Jakobsen: Ja, ich komme aus dem Auswärtigen Amt. Mein Leben sollte eigentlich anders ablaufen.

Joachim Jakobsen: Und dann kam zufällig einer, der von U-Booten redete und davon, die Tiefsee zu entdecken, und der hat sie dem Auswärtigen Amt geraubt.

War es eine schwierige Entscheidung, das Auswärtige Amt zu verlassen?

Kirsten Jakobsen: Nein, überhaupt nicht. Es ist faszinierend, in die Tiefsee abzutauchen in dem Wissen, dass dort noch nie jemand zuvor war, und Tiere zu beobachten, die noch nie ein Mensch gesehen hat. Etwas Faszinierenderes kann ich mir nicht vorstellen. Und das kompensiert alle anderen Entbehrungen.

Tauchen Sie immer mit einem Auftrag oder auf gut Glück und schauen hinterher, was sich verkaufen lässt?

Kirsten Jakobsen: Das geht beides. Es kann sein, dass wir ein seltenes Tier dokumentiert haben und versuchen, noch weitere Aufnahmen zu bekommen. Häufiger ist es aber so, dass wir einfach abtauchen und Tiere oder Habitate entdecken, die noch nie zuvor dokumentiert worden sind.

 Joachim Jakobsen: Wir haben gerade heute einen neuen Vertrag mit der BBC für „Planet Earth“ unterschrieben, bei dem es um eines der skurrilsten Tiere geht, die es auf diesem Planeten gibt. Das Tier haben wir einmal vor einigen Jahren gefilmt.

Welches Tier ist das?

Joachim Jakobsen: Das dürfen wir leider nicht verraten. Aber wir haben eine heiße Spur und morgen tauchen wir wieder ab.

Und wie finden Sie die heiße Spur in der riesigen Tiefsee?

Kirsten Jakobsen: Wir tauchen oft und schon seit vielen Jahren, da entwickelt man einen Riecher.

 Joachim Jakobsen: Die meisten Forschungsgesellschaften tauchen heute mit einer ferngesteuerten Maschine. Man ist oben auf dem Begleitboot und hat einen Monitor vor sich. Das hat natürlich auch Vorteile, es können mehrere Leute um den Monitor sitzen. Aber wenn man den Ozean erfühlen, erforschen und verstehen will, muss man selber runtergehen. Das ist etwas völlig anderes. Oft sitzen wir in unserer großen Kuppel und filmen irgendein Tier, und etwas anderes, Interessanteres, noch nie Gesehenes erscheint irgendwo im Augenwinkel, und dann haben wir die Möglichkeit zu reagieren. 

Wie oft tauchen Sie in der Tiefsee?

Kirsten Jakobsen: Im Sommer zwei- bis dreimal in der Woche. Im Winter weniger, wir brauchen ruhige Meeresbedingungen. Es hängen auch viel Vor- und Nachbereitung an jedem Tauchgang.

Schauen Sie sich das Filmmaterial der Tauchgänge noch einmal an?

Joachim Jakobsen: Ja, komplett. Das wird gesäubert, geordnet, farblich bearbeitet, katalogisiert und in verschiedenen Gruppen archiviert. Das ist ein sehr großes Archiv.

Gibt es in der Tiefsee auch Tiere, die besonders gut laufen, so wie Pinguin und Bär beliebter sind als Hyänen?

Kirsten Jakobsen: Das ist in der Tiefsee auch so, dass die niedlichen Tiere besser laufen als die nicht so niedlichen. Oder die, die ganz, ganz schrecklich und fies aussehen, die werden auch gern genommen.

 Joachim Jakobsen: Wir hatten ja das Glück, vor drei Jahren den Fächerflossen-Anglerfisch filmen zu können. Der wurde zum ersten Mal lebend gefilmt. Das Anglerfischweibchen ist wirklich nicht sehr hübsch, es hat lange, große Zähne und sehr kleine Augen. Das Männchen entspricht vom Volumen etwa fünf Prozent der Masse des Weibchens, und es macht in seinen jungen Jahren nichts anderes, als durch den Ozean zu schwimmen und die Dame seines Herzens zu finden. Dann beißt es sich bei ihr am Bauch fest, und die beiden verschmelzen miteinander – was natürlich sehr romantisch ist. Nach einer Weile teilen sie sich sogar den Blutkreislauf. Diese Szenen gingen weltweit um den Globus.

Kirsten Jakobsen: Manche fanden, es ist die schönste Art der Welt, Sex zu haben, und manche fanden, es ist die schrecklichste Art.

 Joachim Jakobsen: Sie haben das bis zum Ende ihres Lebens, das muss ja nicht schlecht sein.

Ihr U-Boot haben Sie „Lula“, auf Portugiesisch Kalmar, genannt. Um den Riesenkalmar ranken sich viele Mythen. Sie haben ihn bisher aber noch nicht vor die Kamera bekommen. Das muss doch frustrierend sein.

Joachim Jakobsen: Wir suchen nicht nach ihm, aber wenn er kommt, filmen wir ihn natürlich gerne. Vor Jahren haben wir auch intensiver danach gesucht, und einmal sind wir durch eine Tintenwolke eines Riesenkalmars durchgetaucht. Aber für uns ist es wichtiger, die kleinen, richtig seltenen, unscheinbaren Tiere zu filmen. Die sind oft auch viel skurriler und interessanter.

Aber wären Bilder des Riesenkalmars nicht besonders lukrativ?

Kirsten Jakobsen: Klar, ein Bereich, aus dem wir unsere Arbeit finanzieren, ist der Verkauf von Fernsehlizenzen für große Naturdokumentationen. Wenn der Riesenkalmar dabei wäre, wäre das schön. Aber das ist nicht das, was uns antreibt, sondern eigentlich alles, was neu ist. Die Tiere sehen ganz anders aus, wenn sie da herumschwimmen, als wenn sie in einem Forschernetz völlig zermatscht an die Oberfläche kommen.

Joachim Jakobsen: Wir haben neulich einen Schwarzen Degenfisch gefilmt, der als extrem lichtscheu gilt und noch nie dokumentiert wurde. Der kam einfach angeschwommen, ein Raubfisch, 1,60 Meter lang, mit großen spitzen Zähnen. Dem möchte man nicht ungeschützt begegnen.

Kann es nicht auch gefährlich werden, wenn ein Riesenkalmar Sie in seine meterlangen Tentakel nehmen würde?

Joachim Jakobsen: Nee. Och, das wäre schön, einmal vom Riesenkalmar umarmt zu werden!

 Kirsten Jakobsen: Wir haben vor Jahren für die BBC eine Szene gedreht, bei der Haie einen Wal verspeisen. Da waren wir um Mitternacht auf 750 Meter Tiefe, umringt von sechs Haien, die eine Länge von fünf Metern hatten. Die haben das U-Boot angehoben und sind ständig in das Bugfenster gestoßen. Das war schon ein Erlebnis der besonderen Art, aber nicht gefährlich.

Sie sind dort in absoluter Finsternis, über Ihnen lasten tonnenschwere Wassermassen, hatten Sie noch nie ein Gefühl von Angst oder Beklemmung?

Kirsten Jakobsen: Nö, nicht wirklich. In dem Boot fühlen wir uns total sicher. Wenn es gefährliche Situationen gibt, sind die normalerweise an der Wasseroberfläche, wo das Wetter sich ändern kann, beim Umsteigen vom U-Boot auf das Schiff.

Joachim Jakobsen: Man gewöhnt sich ja daran. Als wir mit der U-Boot-Taucherei angefangen haben, da waren wir viel zu beschäftigt, um schlechte Gefühle zu haben, und dann wird es so normal wie im Auto oder Flugzeug. Wobei ich mich sicherer im U-Boot fühle als auf der Autobahn.

Die Tiefsee ist flächenmäßig mehr als doppelt so groß wie alle Kontinente zusammen, aber wir wissen nur sehr wenig über sie.

Joachim Jakobsen: Ja. Fast jedes Mal, wenn wir untertauchen, sehen wir Verhaltensweisen von Tieren, die noch nicht bekannt waren. Es ist ein riesiger Lebensraum, von dem wir alle abhängen, den es zu schützen gilt und den es vor allem erst einmal kennenzulernen gilt. Die Tiefseeforschung müsste viel mehr gefördert werden.

Hat sich nach mehr als 20 Jahren in der Tiefsee Ihr Blick auf unseren Planeten verändert?

Joachim Jakobsen: Ich denke manchmal, es ist wie der Blick des Astronauten aus seiner Kapsel auf die Erde. Nur sind wir auf der anderen Seite, unter der Wasseroberfläche. Wenn man in der Mitte des Ozeans steckt und dort manchmal stundenlang wartet, kommt man schon ins Grübeln, und der Blick auf die Menschheit verändert sich.

Das klingt meditativ.

Kirsten Jakobsen: Schon, ja. Was mich auch fasziniert, ist, wie die Tiere an den Lebensraum angepasst sind, wie langsam das Leben in der Tiefsee abläuft, wie sparsam die Organismen mit Energie haushalten. Das entschleunigt schon, man kommt anders an die Wasseroberfläche zurück.

Könnten Sie sich ein Leben ohne Tauchen vorstellen?

Kirsten Jakobsen: Ja, auf jeden Fall. Es gibt so viele andere Dinge.

Joachim Jakobsen: Wir sind keine weltentrückten Gurus, die nur noch da unten sind. Wir finden das Leben an der Wasseroberfläche, auf der Erde, auch sehr attraktiv. Aber jeder sollte doch einmal in die Tiefsee schauen, und wenn es nur per Film ist. Vielleicht sollte man den Fokus etwas weg von den Pinguinen und Bären und hin zu den Wundern der Tiefsee lenken. Es ist noch unendlich viel Wissen dort zu holen.