Sozialarbeiterin Miriam Peters ist mit einem Beratungsmobil in Dörfern unterwegs. Sie hilft Frauen und Kindern, die häusliche Gewalt erleben.
Interview von Inga Rahmsdorf
Miriam Peters hat die „Land-Grazien“ gegründet, eine mobile Beratungsstelle auf dem Land für Frauen, die von ihren Partnern gedemütigt, geschlagen oder vergewaltigt werden. Das Besondere an dem bundesweit bisher einmaligen Projekt: Die Sozialarbeiterin fährt mit einem als Firmentransporter getarnten Kleinbus durch die Dörfer, um Frauen dort zu beraten, wo sie unbemerkt hinkommen können. Für das Interview schickt die 35-Jährige vorab die Adresse des Büros in einem Dorf in Schleswig-Holstein, dazu der Hinweis: „Es ist wichtig, dass die Adresse absolut geheim gehalten wird.“ Zu oft sind sie schon bedroht worden. Wie bei ihren Beratungen bietet Peters erst einmal Kaffee an.
SZ: Miriam Peters, reden wir über Geld. Wie hängt häusliche Gewalt mit Geld zusammen?
Miriam Peters: In einer gewalttätigen Beziehung geht es immer auch darum, Macht über den anderen zu haben. Und Geld bedeutet Macht. Wenn eine Person mehr Geld als der andere hat, egal ob Mann oder Frau, hat sie mehr Handlungsspielraum. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht. Wenn eine Person dann überhaupt keinen Zugriff auf die finanziellen Ressourcen hat, schafft das eine unglaublich große Abhängigkeit. Das ist auch eine Form von Gewalt, die ökonomische Gewalt.
Ist Geld ein großes Thema für viele Frauen, die zu Ihnen in die Beratung kommen?
Geld ist eigentlich immer ein großes Thema. Viele der Frauen haben kein eigenes Bankkonto, vollkommen unabhängig davon, welchen Bildungsstandard sie haben, ob Akademikerin oder nicht und ob sie selbst Geld verdienen. Ihr Lohn wird oftmals auf sein Konto überwiesen.
Warum eröffnen sie kein eigenes Konto?
Das hat auch mit traditionellen Rollenbildern zu tun. Manche sagen, hey, es ist in Ordnung, er wacht über das Geld und passt auf, dass wir genug haben. Das führt aber dazu, dass sie nicht selbstbestimmt handeln können. Manche müssen sogar ihren Mann um Taschengeld bitten, um Lebensmittel zu kaufen. Oft gibt es auch ein vermeintliches Gemeinschaftskonto. Das ist einer der gefährlichsten Momente in einer Beziehung, wenn der Partner sagt: „Ach was, du brauchst kein eigenes Konto, wir vertrauen uns doch.“
Wieso ist ein Gemeinschaftskonto gefährlich?
Wenn wir die Frauen fragen, ob es wirklich ein Gemeinschaftskonto ist, sagen sie: „Ja, wieso nicht? Ich habe damals nach der Heirat etwas unterschrieben und habe auch eine Bankkarte.“ Aber dann stellt sich häufig heraus, dass es sein Konto ist und sie nur eine Vollmacht hat. Das Problem ist, dass er diese Vollmacht jederzeit widerrufen kann.
Und dann wird Geld als Druckmittel eingesetzt?
Wir haben schon oft erlebt, dass eine Frau ihrem Mann gesagt hat, dass sie sich trennen will, und es hat keine Stunde gedauert: Ihre Bankkarte war gesperrt, und sie hatte keinen Zugriff mehr auf das vermeintliche Gemeinschaftskonto. Plötzlich stand sie komplett ohne Geld da. Eine Frau bei uns in der Beratung wurde seit Langem verprügelt, bis sie sich endlich getraut hat, die Polizei zu rufen, und ihr Mann der Wohnung verwiesen wurde. Das Erste, was er getan hat, war, das Konto leer zu räumen. Sie war in Elternzeit, sein Gehalt und das Kindergeld gingen auf das gemeinsame Konto. Sie hat mich angerufen und gesagt: „Miriam, ich weiß nicht einmal, wie ich die Brotdosen meiner Kinder füllen soll.“
Haben die Frauen keinen Anspruch auf Unterhaltszahlungen oder Sozialleistungen?
Doch, aber es dauert meist Wochen oder Monate, bis alle Papiere da sind und es bewilligt wird. Vor einigen Tagen hat uns eine Frau angerufen, deren Mann ausgezogen ist. Sie wollte beim Amt Wohngeld und Kinderzuschlag beantragen, hat aber erst Anspruch darauf, wenn er sich ummeldet. Und er macht nun ein Machtspiel daraus und meldet sich nicht um.
Können Sie in solchen Situationen auch finanziell helfen?
Wir haben einen Geldtopf eingerichtet, mit dem wir die Frauen für einige Zeit finanziell unterstützen können, damit sie erst einmal Miete und Lebensmittel bezahlen können. Das schafft schon viel Freiraum und Sicherheit. Wenn der Topf leer ist und eine Frau akut etwas braucht, haben wir ein großes Netzwerk oder können ein Crowdfunding starten. Und wir sind eng mit den Landfrauen vernetzt, die uns toll unterstützen und schon oft Spenden spontan organisiert haben.
Sich zu trennen, ist oft also auch eine Entscheidung zwischen Gewalt oder Armut?
Die finanziellen Abhängigkeiten befeuern jede gewaltvolle Beziehung. Eine Frau kam zu uns, …
Das ganze Interview in der Süddeutschen Zeitung online: