Profiboxerin Dilar Kisikyol ist Weltmeisterin im Leichtgewicht. Doch wirklich davon leben konnte sie lange nicht, nebenher arbeitete sie als Sozialpädagogin. Und obwohl der Boxsport ihre erste große Liebe ist, wird ihre Titelverteidigung am 21. September ihr Abschiedskampf sein.
Sonntagvormittag, eine Sporthalle in Hamburg, in der Mitte steht der Boxring. Dilar Kisikyol begrüßt gut gelaunt die ankommenden Frauen und Mädchen. Die 32-jährige Profiboxerin ist seit 2022 Weltmeisterin im Leichtgewicht. „Machen Sie doch bei meinem Boxworkshop mit, danach unterhalten wir uns“, hatte Kisikyol am Telefon gesagt. 25 Teilnehmerinnen zwischen acht und 70 Jahren sind gekommen. Die Profiboxerin kennt nach wenigen Minuten alle Namen und feuert die Gruppe mit Aufwärmübungen an, danach ziehen sich alle Boxhandschuhe über. Nach 90 Minuten Training sagt Kisikyol: „Gebt nie auf! Kämpft für das, was euch wichtig ist.“ Beim Gespräch danach wirkt sie genauso energiegeladen und humorvoll wie während des Trainings.
SZ: Dilar Kisikyol, reden wir über Geld.
Dilar Kisikyol: Das ist gut. Ich finde, besonders Frauen reden zu wenig über Geld.
Wie viel verdienen Sie mit dem Boxworkshop für Mädchen und Frauen, den Sie gerade gegeben haben?
Dafür habe ich dieses Mal keine Teilnahmegebühr kassiert, das war ehrenamtlich. Es ist eines meiner Herzensprojekte. Der Boxsport ist ein ideales Instrument, um Mädchen und Frauen zu stärken. Deswegen habe ich auch das Projekt „Du kämpfst“ gegründet. Damit möchte ich möglichst vielen Menschen den Boxsport zugänglich machen. Es ist toll zu sehen, wenn so wie heute viele verschiedene Nationalitäten miteinander trainieren, junge und alte Frauen, mit Kopftuch und ohne Kopftuch, Menschen mit und ohne Handicap.
Machen Sie die Projektarbeit immer ehrenamtlich?
Am Anfang habe ich das immer ehrenamtlich gemacht, aber jetzt nicht mehr. Das Projekt kommt super an, ich bekomme sehr viele Anfragen. Wenn ein Unternehmen anfragt, ob ich einen Workshop geben oder einen Vortrag halten kann, finde ich, sollte es auch angemessen dafür bezahlen. Ich habe schließlich hart für meinen Weltmeistertitel gearbeitet und arbeite immer noch hart daran. Nur weil mir das Spaß macht, heißt das ja nicht, dass ich damit nicht Geld verdienen kann. Das ist auch so ein Unterschied beim Thema Geld zwischen Männern und Frauen.
Was meinen Sie damit?
Als Frau wird einem oft eingeredet: Du kannst doch froh sein, dass du das machen darfst, da brauchst du jetzt nicht auch noch Geld zu verlangen. Das erlebe ich ständig, das war auch etwas, das ich erst lernen musste. Mir ist es auch schwergefallen, über mein Gehalt zu verhandeln. Man hinterfragt sich, vergleicht sich mit anderen und weiß, dass Frauen beim Boxen nicht so viel Geld einbringen. Aber wenn man wirklich überzeugt ist von dem, was man macht, dann kann man in Gehaltsverhandlungen selbstbewusst auftreten. Frauen verstecken sich immer zu sehr.
Sie sind Profi-Weltmeisterin in Ihrer Gewichtsklasse. Können Sie vom Boxen leben?
Ich kann meinen Lebensunterhalt davon finanzieren, allerdings auch erst seit einigen Monaten, seit ich bei der „P2M Boxpromotion“ als Profiboxerin angestellt bin und jeden Monat ein Gehalt bekomme. Um die Kampfspesen zu finanzieren, brauche ich weiterhin ein Sponsoring. Das Boxbusiness ist hart, du musst dich im wahrsten Sinne des Wortes immer durchboxen. Allein den Weltmeistertitel zu haben, genügt nicht.
Werden die Box-Kämpfe nicht gut bezahlt?
Durch den Weltmeistertitel habe ich natürlich Sponsoren dazugewonnen. Aber das Preisgeld war so niedrig, dass ich daran kaum etwas verdient habe. Die Männer in der Königsklasse, also im Schwergewicht, verdienen im Ausland Millionen mit einem Boxkampf. Für Frauen ist das immer noch ganz anders. Im Frauenboxen steckt viel weniger Geld, deswegen ist es auch als Frau im Boxbusiness besonders schwierig. Man ist gezwungen, sich parallel etwas aufzubauen.
Wünschen Sie sich manchmal einen geregelten und sicheren Job?
Klar verlangt mir der Sport sehr viel ab. Es gibt immer wieder Momente, in denen ich mich und das Ganze hinterfrage. Dann denke ich, hey, Dilar, mach doch einfach einen 40-Stunden-Job, und du hast deine Ruhe. Aber ich brenne fürs Boxen. Der Sport hat mich erst zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Er hat mir so viel Hoffnung und Mut gegeben. Das will ich weitergeben.
Wie haben Sie Ihr Leben finanziert, bevor Sie beim Boxverband angestellt wurden?
Neben dem täglichen Training habe ich noch 20 Stunden in der Woche als Sozialpädagogin gearbeitet. Bei meinen männlichen Kollegen läuft das ganz anders, sie können sich ganz auf den Profi-Sport konzentrieren. Sie machen morgens ihr Training, gehen mittags nach Hause, erholen sich und kommen nachmittags wieder in die Halle. Ich bleibe mittags oft, kümmere mich selbst um meine Sponsoren, die Pressearbeit, Veranstaltungen und um meine Projekte. Und ich versuche auch, mir neben meiner Sportkarriere etwas für die Zukunft aufbauen. Das ist schon eine große Doppelbelastung.
Sie sind mit dem James-Parkinson-Preis 2024 ausgezeichnet worden.
Meine Arbeit mit der Parkinson-Gruppe gibt mir ganz viel und ist ein ganz wichtiger Ausgleich. Im Boxbusiness musst du dich ständig zwischen den Männern behaupten. Es gibt immer finanziell viel Druck, der Boxpromoter will natürlich auch Geld mit mir verdienen. Die Dankbarkeit und Wertschätzung, die ich in der Parkinson-Gruppe erfahre, gibt mir da sehr viel Kraft und zeigt mir immer wieder, was dieser Sport noch leisten kann.
Was kann Boxen denn noch leisten?
Beim Boxen geht es um Kraft, Beweglichkeit, Koordination und Reaktionsfähigkeit. Wenn man an Parkinson erkrankt, sind das Fähigkeiten, die man allmählich verliert. Durch das Boxen können wir sie trainieren. Und man lernt beim Boxen, seinen eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Immer wieder erzählen mir Teilnehmerinnen, dass sie sich durch das Boxen gestärkt, mutiger und selbstbewusster fühlen. Ich kann das gut verstehen. Mir ging es auch nicht anders, als ich mit 16 Jahren das erste Mal in eine Boxhalle gekommen bin.
Wie war das?
Erst einmal habe ich zu Hause kämpfen müssen, um überhaupt boxen zu dürfen. Meine Mutter wollte, dass ich Klavier spiele, sie meinte, der Boxsport sei nichts für Mädchen. Ein Nachbar hat sie dann überredet, und gesagt, lass Dilar ruhig hingehen, nach ein, zwei Monaten hat sie sowieso keine Lust mehr, weil es zu anstrengend ist. Das hätte er wahrscheinlich bei einem Jungen nicht gesagt.
Waren Sie sofort begeistert?
Nein, ich bin hingegangen, habe nur Jungen und Männer in der Halle gesehen und bin wieder nach Hause gegangen, weil ich mich nicht reingetraut habe. Beim nächsten Mal habe ich eine Freundin mitgenommen. Danach bin ich geblieben – und seitdem boxe ich mich durch (lacht).
Sie sind als Drilling in Leverkusen geboren. Das muss für Ihre Eltern eine große finanzielle Belastung gewesen sein, wenn man plötzlich alles dreifach braucht.
Ja, und nicht nur finanziell. Ich will gar nicht wissen, was meine Eltern alles durchgemacht haben. Wir haben ja auch noch eine zwei Jahre ältere Schwester. Meine Eltern sind Kurden und aus der Türkei nach Leverkusen gekommen. Sie lebten damals noch nicht lange in Deutschland, in einer Eineinhalb-Zimmer-Wohnung. Sie haben sich sehr viele Sorgen gemacht, als wir drei geboren wurden.
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