Nach der Geburt tun sich viele Frauen schwer, entspannt in die neue Lebensphase zu starten. Das kann gefährlich werden. Über ökonomischen Druck, fehlende Hebammen und Probleme beim Stillen.
Zwei Tage nach der Geburt ihres Kindes wurde die junge Mutter aus dem Krankenhaus entlassen. Sie fühlte sich überrumpelt und rausgeworfen. Gleichzeitig war sie auch froh, nach Hause zu kommen. In dem Universitätsklinikum war es hektisch gewesen, die Geburtsstation völlig überlaufen, Pfleger und Hebammen eilten zwischen den Frauen hin und her. Zu Hause kümmerte sich auch der Vater um das Kind, trotzdem fühlte sich die 35-Jährige alleingelassen und überfordert. Das Stillen klappte nicht, ihre Brüste schmerzten und das Kind schlief ein, wenn es trinken sollte, und schrie, wenn sie eine Pause brauchte. Schon in der Schwangerschaft hatte sie eine Hebamme für die Betreuung im Wochenbett gesucht – und irgendwann endlich eine gefunden. Die konnte aber erst zwei Tage nach der Entlassung aus der Klinik zu ihr kommen.
In Deutschland verbringen Frauen heute bei einer Geburt durchschnittlich 3,7 Tage in der Klinik. Bei einer unkomplizierten vaginalen Entbindung bleiben sie oft zwei Nächte. Nach einem Kaiserschnitt ohne weitere Komplikationen sind es vier Nächte. Das war früher ganz anders. 1980 lagen Frauen in Westdeutschland bei einer Geburt durchschnittlich fast zehn Tage im Krankenhaus. Im Jahr 2000 dauerte ein Aufenthalt in der Geburtsklinik laut Statistischem Bundesamt noch durchschnittlich 5,5 Tage. 2010 nur noch 4,4 Tage. Gleichzeitig ist die Kaiserschnittrate gestiegen.
„Das System ist wirklich ausgereizt“, sagt der Chefarzt einer Frauenklinik mit knapp 1000 Geburten im Jahr, der anonym bleiben möchte. „Wir entlassen die Frauen ja nicht so früh, weil sie so schnell nach Hause wollen.“ Das Abrechnungssystem schreibe vor, wie lange eine Patientin bei einer Geburt bleiben darf. Bezahlt wird nicht nach Tagen, sondern pauschal nach Fall. Und für jeden Fall ist eine bestimmte Liegezeit festgelegt.
Verläuft eine natürliche Geburt unkompliziert, ist für Mutter und Kind die sogenannte mittlere Verweildauer von 3,1 Tagen vorgesehen. Das heißt, drei Nächte sollten nicht überschritten werden. Bleibt die Patientin länger als im Fallpauschalen-Katalog vorgesehen, müssen Ärzte dies gegenüber dem Medizinischen Dienst der Kassen rechtfertigen. Sieht dieser keine medizinische Notwendigkeit für den zusätzlichen Tag, bekommt ihn die Klinik auch nicht vergütet.
Diesen Trend gibt es nicht nur in der Geburtshilfe. Viele Patienten verlassen heute früher die Krankenhäuser, egal ob in der Orthopädie, der Kinder- oder Augenheilkunde. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten fast halbiert. Doch wie lange sollten eine gesunde Mutter und ihr Baby idealerweise im Krankenhaus bleiben? Sind zwei Nächte zu wenig? Oder eine Woche zu viel? Ist die sinkende Aufenthaltsdauer in der Geburtsklinik allein dem ökonomischen Druck geschuldet? Oder ist es medizinisch sogar sinnvoll, wenn gesunde Mütter und Neugeborene so schnell wie möglich nach Hause kommen? Schließlich ist die Geburt keine Krankheit und ein längerer Klinikaufenthalt birgt ein höheres Infektionsrisiko.
„In allen Kulturen gibt es das Wochenbett, die Zeit nach der Geburt, in der ganz spezielle Regeln gelten“, sagt Maria Delius, Leiterin der Geburtsmedizin am Innenstadt-Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Traditionell wurden Frauen in Deutschland in den ersten sechs Wochen nach der Geburt besonders umsorgt. „Das kommt daher, dass früher viele Frauen im Wochenbett gestorben sind“, sagt Delius, die neben Medizin auch Ethnologie studiert und sich in ihrer Doktorarbeit mit dem Wochenbett in verschiedenen Kulturen befasst hat.
„Heute geht es nicht mehr darum, dass eine Frau nach einer Geburt tage- oder sogar wochenlang im Bett liegt“, so Delius. Ärzte empfehlen sogar, so bald wie möglich aufzustehen und etwa spazieren zu gehen. Wichtig sei, dass die Frau dabei zur Ruhe kommt und sich erholen kann. Die entscheidende Frage sei nicht, wie viele Tage eine Frau in der Klinik bleibe, sondern welche Unterstützung sie zu Hause erhalte. „Mütter brauchen ihre Schonzeit. Das muss nicht unbedingt in der Klinik sein“, sagt Delius.
Wochenbett, der Begriff klingt etwas altmodisch. Doch Ärzte, Psychologen, Hebammen und Wissenschaftler betonen , dass diese ersten Wochen nach einer Entbindung heute keineswegs an Bedeutung verloren haben. Sie warnen davor, dass der ökonomische Druck im Gesundheitswesen, überfüllte Geburtsabteilungen und fehlende Krankenpfleger und Hebammen dazu führen, dass kaum noch Zeit bleibt, sich in Ruhe um Mutter und Kind zu kümmern.
Die ersten Tage in der Klinik etwa legen für viele Frauen die Weichen, ob sie stillen oder nicht. Das größte Hindernis dabei ist Stress, sagen Ärzte und Hebammen. Je größer jedoch der Zeitdruck auf der Wöchnerinnenstation ist, desto weniger kümmern sich die Pfleger um die Mütter. Sie können sich dann nicht eine halbe Stunde neben das Bett einer Patientin setzen und warten, bis das Neugeborene die Brustwarze findet. …
Der ganze Artikel ist zu finden auf SZ-Plus der Süddeutschen Zeitung:
https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/geburt-muetter-stress-1.4947322